Der Plan hinter einer 40-Stunden-Woche geht nicht auf. Die Wissenschaft weiß das schon lange. Die Wirtschaft ignoriert es konsequent. Ein nicht zu Ende gedachtes Wunschkonzept steht der Realität gegenüber. Wer wird gewinnen?
Der Gedanke an acht Stunden Arbeit am Tag, fünf Tage die Woche mit nur 30 Tagen Urlaub IM GANZEN JAHR (!) hat mich schon immer fertig gemacht. Egal, wie ich es in meinem Kopf drehe und wende, acht Stunden sind einfach zu lang. Wie machen die anderen das bloß? Wie bleiben die so lange bei der Sache? Und woher nehmen die ihre Motivation?
Die Antworten auf all diese Fragen waren immer die Gleichen: "So ist halt das Leben.", "Da gewöhnt man sich schon dran." Als ich dann während meines Studentenjobs das Arbeitsverhalten meiner Kolleg*innen genauer beobachtet habe, ist mir ziemlich schnell klar geworden, wie man sich an eine 40-Stunden-Woche gewöhnt.
Gearbeitet hat da nämlich keiner. Klar, die waren acht Stunden am Tag + Pause vor Ort. Die sind um 8 Uhr morgens ins Büro gekommen und um 17 Uhr wieder gegangen. Und in der Zwischenzeit wurde da wirklich eine ganze Menge geschafft: Es wurden pro Person etwa 37 Tassen Kaffee getrunken, vegane Rezepte bei Pinterest gesucht und mithilfe von YouTube-Tutorials wichtige Skills erlernt, wie z.B. das Pfeifen mit zwei Fingern.
Wie ich mir damals habe sagen lassen, "machen das alle so." Aha. Es ist wohl common sense, dass man von den acht Stunden Arbeitszeit nicht ernsthaft acht Stunden arbeitet. Das wär‘ ja auch echt verrückt.
_________________________________________________________________________________________
Wie viel wird tatsächlich gearbeitet?
Eine Studie aus Großbritannien*(1) hat das mal genauer untersucht. Fast 2000 Angestellte wurden dazu befragt, wie sie ihre Arbeitszeit an einem normalen Arbeitstag verbringen. Die Ergebnisse sind erschreckend (oder vielleicht weniger erschreckend für alle, die sich hier wiedererkennen). Von acht Stunden wurden nur knapp drei Stunden am Tag wirklich gearbeitet. Was mit den restlichen fünf passiert ist? Die sind draufgegangen für Social Media, Plausch mit Kolleg*innen, Heißgetränke, Raucherpäuschen und Telefonate mit Familie und Freund*innen. Man kennt`s.
Über die Hälfte der Befragten gab daraufhin an, nur so den Arbeitstag überstehen zu können. Diese "kleinen" Pausen ermöglichen es ihnen, ihr Arbeitspensum am Tag zu schaffen. Wie repräsentativ diese Daten wirklich sind, bleibt an dieser Stelle offen. Aber Fakt ist – Hand aufs Herz – niemand arbeitet an einem Acht-Stunden-Tag ernsthaft acht Stunden. Ich weiß das. Du weißt das. Wir alle wissen das.
Es bringt hier rein gar nichts, mit dem Finger auf die prokrastinierende Arbeitnehmer*innenschaft zu zeigen. Die hohe Unproduktivität an langen Arbeitstagen ist nämlich oft auch Resultat einer dysfunktionalen Organisationsstruktur. Eine Studie von Asana*(2) zeigt:
Wie sich die meisten außerdem wahrscheinlich denken können oder es selbst schon erfahren haben, verschlechtert sich mit steigender Arbeitszeit auch die Gesundheit, während die Krankentage und Besuche bei Ärzt*innen in die Höhe gehen*(3). Besonders Rückenschmerzen, Müdigkeit und Erschöpfung sowie Schlafstörungen gehören zu den Symptomen*(4). Und wer permanent gestresst und überarbeitet ist, kann nicht 100 % geben.
Bereits 2007 fand Hartmut Seifert einen Zusammenhang zwischen steigender Arbeitszeit und sinkender Leistung. In einer Studie*(5) verglich er die Arbeitsproduktivität von 20 Ländern, indem er deren durchschnittliche Wochen-Arbeitszeit der jeweiligen stündlichen Produktivität gegenüberstellte. Die Tendenz ist eindeutig: Länder, in denen die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche höher ist, sind bei der Arbeit weniger produktiv. Zum Beispiel wiesen die Bulgar*innen, bei denen eine durchschnittliche Arbeitswoche 40,7 Stunden lang ist, nur etwa ein Viertel der Produktivität der Französ*innen auf, die in 36,2 Stunden fast viermal so viel leisteten.
Ist das also der Deal? Um für mehr bezahlt zu werden als ich eigentlich leiste, muss ich einfach 8 Stunden meiner Lebenszeit gegen Geld eintauschen? Das scheint mir nicht sehr sinnvoll zu sein, schließlich hab' ich keine Chance, meine Zeit jemals zurückzubekommen. Wie wärs damit: Die Arbeitszeit verkürzen.
Eine Handvoll Unternehmen macht es vor, kaum jemand macht es nach. Schade eigentlich, schließlich bringt die Verkürzung der Arbeitszeit eigentlich nur Vorteile mit sich. Denn: die 40-Stunden-Woche ist eine Illusion, eine Wunschvorstellung. Die Wissenschaft hat längst festgestellt und mehrfach bestätigt, dass kein Mensch so lange effektiv arbeiten kann. Wieso also nicht gleich ein neues Modell einführen und normalisieren?
25-Stunden-Woche in San Diego
Auf der ganzen Welt wurden hierzu bereits Experimente und Testläufe durchgeführt. Da haben wir z. B. das Unternehmen "Tower" – ein Paddelbrett-Hersteller mit weltweitem Vertrieb aus San Diego. Stephan Aarstol (CEO) hat schon vor ein paar Jahren bei gleichbleibendem Gehalt die Arbeitszeiten seiner Angestellten verkürzt. Sein ganzes Team arbeitet jetzt nur noch von 8 bis 13 Uhr. Und die Gleichung geht auf: Die Umsätze stiegen um etwa 40 %. Hö? Trotz weniger Arbeit mehr Leistung? Ja klar, schließlich hat sich an den bisherigen Leistungszielen und Deadlines nichts geändert. Stephans Leute sollen nicht fürs gleiche Geld weniger arbeiten; das wär' ja auch ziemlich dumm. Sie sollen nur dieselbe Arbeit in kürzerer Zeit schaffen. Und das funktioniert wunderbar*(6).
30-Stunden-Woche in Schweden
Auch in Schweden wurden verkürzte Arbeitszeiten längst ausprobiert und ihr positiver Effekt mehrfach bestätigt*(7). Verkürzt wurden die Arbeitszeiten hier von acht auf sechs Stunden pro Tag – auch bei gleichbleibender Entlohnung. Beteiligt an dem Experiment waren zum Beispiel das Toyota-Werk in Göteborg, das Svartedalen-Heim in Göteborg und das Sahlgrenska-Krankenhaus in Mölndal. Das Ergebnis: Überall war die Mitarbeiter*innenzufriedenheit deutlich höher, die Krankmeldungen niedriger und der Umsatz leicht bis deutlich gestiegen. Obwohl zwei Stunden weniger gearbeitet wurde, haben die Angestellten in dieser Zeit dieselbe Leistung erbracht wie an einem Acht-Stunden-Tag. By the way: Das Toyota-Werk setzt die 30-Stunden-Woche nun schon seit 2004 um.
25-Stunden-Woche in Deutschland
Zu guter Letzt: Auch in Deutschland wurde bereits mit Verkürzungen der Arbeitszeit experimentiert – wieder mit positivem Ergebnis*(7). Die IT-Agentur „Rheingans Digital Enabler“ ist seit 2017 dabei, die 25-Stunden-Woche zu optimieren. Auch hier bekommen die Mitarbeiter*innen nach wie vor das gleiche Gehalt. Das Ergebnis: Um eine 25-Stunden-Woche effektiv umzusetzen, mussten Arbeitsprozesse zunächst verbessert werden. Das heißt: keine sinnlosen Meetings, kein work-about-work, keine Prokrastination. Im Endeffekt hat den Mitarbeiter*innen und Führungskräften das Resultat so gut gefallen, dass das Experiment bis heute anhält.
_________________________________________________________________________________________
Wollen die meisten Menschen einfach lieber mehr arbeiten? Nicht wirklich. Eine Studie*(8) gibt uns einen repräsentativen Überblick zu den Wünschen der Arbeitnehmer*innenschaft in Deutschland. 8567 Proband*innen wurden gefragt, wie zufrieden sie mit ihren Arbeitszeiten sind. Die Ergebnisse sprechen für sich: Fast die Hälfte aller Befragten (=49 %) gab an, die geleistete Arbeitszeit pro Woche gern verkürzen zu wollen. Differenziert nach Teil- und Vollzeit wird dieses Ergebnis noch deutlicher: 58 % aller Vollzeitbeschäftigten wünschen sich eine kürzere Arbeitszeit. Um genau zu sein, wollen diese ihre Arbeitszeit am liebsten um ca. 9 Stunden pro Woche verkürzen.
Über die Hälfte der Menschen in Vollzeit will also gar nicht in Vollzeit arbeiten. Aha. Und die Arbeit von acht Stunden schafft man auch in sechs. Okay. Und verkürzte Arbeitszeiten bringen mehr Gewinn fürs Unternehmen und ein zufriedeneres und glücklicheres Leben für alle. So weit, so gut. Außerdem sind kürzere Arbeitszeiten ein echter Wettbewerbsvorteil im Kampf um gute Fachkräfte. Bleibt noch eine Frage offen: Wieso ist die 30-Stunden-Woche noch nicht der Standard in Deutschland?
_________________________________________________________________________________________
_________________________________________________________________________________________