Bewerbungsgespräche sind nur Show. Die eine Seite des Tisches performt, die andere bewertet. Dieser Tanz folgt seit Jahren dem immer gleichen Muster. Wie zielführend ist das eigentlich?
Es ist 13 Uhr 58. Ich sitze in einem grauen Flur ohne Fenster neben einem noch graueren Riesenkopierer. Mir ist heiß. Draußen sind 24 Grad und ich trage eine lange Hose und eine komische Bluse mit blödem Stoff, die an mir klebt und am Rücken kratzt. Nie im Leben würde ich sonst so etwas anziehen, aber das gehört halt zu meinem Kostüm für die Rolle "Frisch gebackene Masterabsolventin auf der Suche nach einem Job – am besten irgendwas mit Medien".
Die Tür geht auf, ich werde hineingebeten. Spotlight on me – es geht los. Ich bin nervös. Von einem großen Tisch aus gucken mich vier Leute an. VIER. Ich werfe einen letzten, hilfesuchenden Blick in den tristen Flur und überlege kurz, ob ich einfach wieder umdrehe. Vier Leute. Müssen die nicht arbeiten oder so?
Alle stellen sich vor. Ich konzentriere mich auf meinen Händedruck: nicht zu fest, nicht zu lasch und auf jeden Fall den Augenkontakt halten; genau so, wie ich es damals bei diesem Bewerbungstraining an der Uni gelernt habe. "Sind Sie gut angekommen? Alles schnell gefunden?" –"Ja." Mist, Smalltalk war noch nie meine Stärke.
Die Chefin liest mir die Website des Unternehmens vor, ebenso wie die Stellenanzeige. Unnötig, habe beides bereits bis ins kleinste Detail studiert. Der Typ neben der Chefin sieht mir die ganze Zeit dabei zu, wie ich bei der Präsentation zusehe. Gar nicht unangenehm.
Dann geht das Verhör los: „Also Frau Lehmann, so viel zu uns. Dann erzählen Sie jetzt mal was von sich." Easy. Ich rattere den Text runter, den ich vorher einstudiert habe und greife dabei einige Punkte aus meinem Lebenslauf auf – aber Vorsicht, nicht zu viele; soll ja keine Wiederholung meiner Bewerbungsmappe werden, die der Personal-Typ aufgeschlagen vor sich hat.
Aus einem Nebenjob, den ich damals nach zwei Wochen gekündigt habe, wird ein dreimonatiges Praktikum und meine doch eher bescheidenen Spanisch-Skills, die sich auf „vamos a la playa“ beschränken, werden zu soliden Sprachkenntnissen. Das eine vergeudete Jahr an der Uni, als ich undurchdachter Weise angefangen habe, BWL zu studieren, lasse ich weg, und in meiner Freizeit betreibe ich plötzlich auch Sport.
Normalerweise lüge ich nicht. Im Vorstellungsgespräch machen das aber alle. So hab ichs schon damals in der Schule gelernt. Sie nennen es "sich ins beste Licht rücken", ich nenne es "lügen". Scheint aber ein gesellschaftlich akzeptiertes Lügen zu sein. Ist okay für mich.
Wir vergleichen kurz meine Kompetenzen mit den Anforderungen aus der Stellenanzeige. Alle Fragen, die mit „Können Sie denn auch...?“, „Haben Sie schon Erfahrung mit…?“ und „Könnten Sie sich auch vorstellen…?“ beginnen, beantworte ich provisorisch mit „Ja“. Beim letzten Vorstellungsgespräch habe ich den Fehler gemacht, ehrlich zu sein. Das passiert mir kein zweites Mal. Ich kann ja zur Not noch ein paar YouTube-Tutorials anschauen, bevor der Job losgeht.
„Frau Lehmann, das hier ist ja eine Stelle für kreative Leute. Können Sie sich denn trotzdem auch organisieren?“ Auf gar keinen Fall. „Auf jeden Fall, Organisation ist mir sehr wichtig!“ – „Wie organisieren Sie sich denn?“ Mhhh, wie organisieren sich organisierte Leute? Ich versuch’s mal: „Ja also, mein Terminkalender hilft mir dabei, den Überblick zu behalten und ToDo-Listen, die ich jeden Tag abhake, hab ich auch!“
„Was haben Sie denn für einen Terminkalender?“ Okay, er bleibt hartnäckig. Was für ein Terminkalender? Was will der jetzt genau wissen? „Naja, einen ganz normalen halt, mit Wochenübersicht, Platz für Notizen, ...“ – „Einen ANALOGEN KALENDER? Sie wollen bei uns ja im digitalen Bereich tätig sein; wieso haben Sie dann einen ANALOGEN KALENDER?“ Puh, will der mich aus der Reserve locken oder sowas? Stressfragen – darüber hab ich was bei "Karrierebibel" gelesen. Ich bleibe gelassen und erkläre ihm, dass mir haptische Elemente bei meiner Organisation helfen. Vielleicht sollte ich das auch in echt mal ausprobieren.
„Ich hätte auch noch eine Frage“ – der Typ ganz rechts – „Nun haben Sie uns ja schon erzählt, was sie alles gut können. Was können sie denn überhaupt nicht gut?“ Die Schwächen-Frage – der Klassiker. Ich weiß natürlich, wie’s läuft. Auf keinen Fall darf ich jetzt meine Schwächen aufzählen. Wäre ich ehrlich, müsste ich gestehen: „Es fällt mir schwer, den Fokus zu behalten und das mit der Organisation und dem Kalender und so war 'ne Lüge, ich bin echt mies in sowas“. Aber ich bin ja nicht bedeppert und erzähle stattdessen von meinem "nervigen, aber gerade noch akzeptablen Perfektionismusdrang" und einem "Ordnungstick".
„Dann Frau Lehmann, wollte ich noch fragen, ob es denn okay für Sie ist, dass Sie bei uns erstmal nur in Teilzeit arbeiten könnten?“ – „Ja, klar. Das find ich sogar gut.“ MIST. Tarnung aufgeflogen. Vier Augenpaare sehen mich skeptisch an. Die eine Frau, die bisher kein Wort gesagt hat, sieht zum ersten Mal hoch: „Wieso ist das GUT, wenn ich fragen darf?“ Ach toll, wie komm ich da jetzt wieder raus? Soll ich jetzt ehrlich sein und sagen, dass eine 40-Stunden-Woche in meinen Augen kein funktionierendes Konzept ist und ich meine Zeit wesentlich besser als in einem nach Kaffee riechenden Büro verbringen kann?
Ich rede irgendwas von flexiblen Arbeitszeiten und dass jüngere Generationen heutzutage andere Vorstellungen von der Arbeitswelt haben und merke ziemlich schnell: Ich hab' verkackt. Beim nächsten Bewerbungsgespräch muss meine Rolle sitzen.
Nach ewigen 40 Minuten ist das Gespräch beendet. „Danke Frau Lehmann, wir melden uns.“ Glaub ich ja null dran.
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Viele Vorstellungsgespräche sind heute nur noch eine Aneinanderreihung einstudierter Choreografien. Das Ganze ist ein Riesentheater. Bei so vielen steifen Regeln, so viel Druck, so viel „richtig“ und „falsch“, so viel „gut“ und „schlecht“, so viel Bewertung bleibt den Bewerber*innen fast nichts anderes übrig.
Vom Händedruck zu Beginn des Gespräches bis hin zum Smalltalk am Ende ist jeder Ablauf standardisiert und erprobt. Die meisten lernen bereits in der Schule, wie diese Odyssee funktioniert: Nimm das Wasser an, verschränk die Beine nicht, stell möglichst viele interessierte Fragen. Wir alle kennen die Regeln. Das Internet ist voll mit Websites, die erklären, was man wann zu sagen hat, auf welche Fragen man vorbereitet sein muss und wie man seine Körpersprache richtig einsetzt. Es gibt ganze Fragenkataloge mit Antwortmöglichkeiten zum Auswendiglernen. Leute, das ist doch kein Multiple-Choice-Test! Diese Art, Bewerbungsgespräche zu führen, mag eine Zeit lang gut funktioniert haben. Aber was bewirkt dieses ganze Frage-Antwort-Spiel, wenn das Meiste davon nur Show ist?
Hinzu kommt: Die meisten Bewerbungsgespräche haben per se schon einen unangenehmen Vibe. Kommunikation auf Augenhöhe findet hier jedenfalls nicht statt. Das Machtgefälle ist deutlich spürbar: Die eine Seite des Tisches stellt die Fragen und bewertet die Antworten, die andere Seite wird genauestens gescannt und versucht, abzuliefern. Antworten, die von der gesellschaftlichen Norm abweichen, wie etwa "Ich arbeite gern in Teilzeit, weil mir meine Freiheit sehr wichtig ist" können schnell zum Nachteil werden.
Es herrscht ein universeller Konsens darüber, dass man als Bewerber*in in solchen Gesprächen alles tut, um sich den Erwartungen der anderen Seite anzupassen. Noch nie im Leben habe ich irgendjemanden sagen hören "Sei einfach du selbst, dann kriegst du den Job schon." Menschen müssen sich verbiegen und eine Rolle spielen. Und wer nicht gut performt, der hat sein Hemd heute ganz umsonst gebügelt, denn Individualitäten haben keinen Platz am Tisch, sorry. Da sitzen ja auch schon vier Leute.
Wer in dieser durch und durch stressigen Situation aufgeregt ist, kann sein Potenzial nicht richtig zeigen. Vor allem introvertierten Menschen macht man hier wirklich keine Freude. Arbeitgeber*innen stellen dann oft die ein, die sich super präsentiert haben, aber nicht immer sind die mit dem größten Darstellungsgeschick auch am besten für die Stelle geeignet. Es steht 50:50, dass diese Gleichung aufgeht. Leute mit viel Potenzial werden übersehen. Vielleicht ist es an der Zeit, Bewerbungsgespräche neu zu denken.
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Was kostet fehlende Menschlichkeit in Unternehmen?
Menschen wünschen sich eine neue Arbeitswelt – eine wertschätzende, flexible, tolerante und vielfältige. Vielen Arbeitgeber*innen scheint der hohe Wert einer menschenorientierten Arbeitskultur noch nicht klar zu sein. Aber wie viel Geld kostet es eigentlich, wenn die Menschlichkeit in Unternehmen fehlt?
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Seit 2001 untersucht der Gallup Engagement Index regelmäßig, inwiefern sich die emotionale Mitarbeiterbindung zum Unternehmen auf den Betrieb auswirkt. Ganz konkret wird dabei erforscht, welchen Einfluss die Verbundenheit zum*zur Arbeitgeber*in auf das Engagement, die Motivation und die Leistung der Mitarbeiter*innen hat.
Mitarbeiterbindung ist ein Produkt von Menschlichkeit.
Die emotionale Mitarbeiterbindung zu erfassen, ist erst mal gar nicht so easy. Gallup macht das so: Jedes Jahr werden 1000 volljährige Arbeitnehmer*innen in Deutschland gebeten, zwölf Aussagen zu bewerten, die sich auf die Themen persönliches Wachstum, Teamarbeit, Unterstützung und Grundbedürfnisse in der Firma beziehen. Also kurz: auf die Menschlichkeit in Unternehmen.
Beispiele*(1):
Basierend auf dem Antwortverhalten der Proband*innen ergeben sich dann 3 Gruppen:
Im Jahr 2020 sah die Verteilung*(2) wie folgt aus:
Von je 100 Beschäftigten in einem durchschnittlichen Unternehmen haben...
Gar nicht mal so gut, dieser Schnitt. Aber was bedeutet das jetzt fürs Unternehmen?
Fehltage
Fangen wir mit etwas leicht Messbarem an: mit Fehltagen. Man kann es schon vermuten, aber der Gallup Engagement Index bringt es für uns noch mal schwarz auf weiß: Mitarbeiter*innen mit einer hohen Bindung fehlen seltener. 2020 lag die Differenz der Fehltage zwischen den Teilnehmer*innen mit hoher emotionaler Bindung und denen ohne Bindung bei 2 Tagen. 2016 ergab sich zwischen diesen beiden Gruppen sogar ein signifikanter Unterschied von 4 Tagen.
Das mag im ersten Moment nicht sehr bedeutsam klingen. Führt man sich aber vor Augen, dass schon ein einziger Fehltag das Unternehmen zwischen 200 und 400 Euro kostet*(3), wird schnell klar: weniger Fehltage wären für den Betrieb schon nice.
Btw: Oft bleibt es ja nicht bei diesen Fehltagen. Denn natürlich bleibt nach jedem Fehltag Arbeit liegen, die zusätzlich von jemand anderem erledigt werden muss. Der Druck steigt, die Last steigt, die Motivation sinkt. Alles in allem schlecht für die Performance.
Machen wir weiter mit einem Thema, dessen Tragweite den meisten Führungskräften nicht ganz klar zu sein scheint: innere Kündigung. 82 % der Menschen mit einer hohen emotionalen Bindung gaben 2020 an, in einem Jahr noch bei ihrer derzeitigen Firma arbeiten zu wollen. Von den Angestellten mit geringer Bindung wollen das nur 60 %. Und bei den Menschen ohne emotionale Verbundenheit zum Unternehmen sind es nur noch schlappe 41 %.
Und was entsteht im Unternehmen, wenn so viele Mitarbeiter*innen schon längst innerlich gekündigt haben? Richtig: Kosten. Gallup selbst hat berechnet, dass die volkswirtschaftlichen Ausgaben aufgrund innerer Kündigung jährlich 96,1 bis 113,9 Milliarden Euro betragen*(2). In einer anderen Studie ergab die Befragung von 300 Manager*innen mit über 1000 Angestellten, dass die Fluktuationskosten pro Mitarbeiter*in bei ca 37.000 € liegen*(4). Hupsi. Ganz schön teuer, was?
Im Buch „Menschlichkeit rechnet sich“ haben sich die Autoren Stephan Brockhoff und Klaus Panreck die Verkettung von Konsequenzen, die aufgrund innerer Kündigung entstehen, mal etwas genauer angesehen.
Wenn bspw. Moritz vom Vertrieb kündigt oder aufgrund fehlender Motivation gekündigt wird, darf sein Arbeitgeber tief in die Tasche greifen. Neben einer eventuellen Abfindung entsteht noch einiges an Kosten während der gesamten Zeit, bis Moritz' Stelle neu besetzt wird und weit darüber hinaus.
Denn Moritz hatte selbst noch einen Berg Arbeit auf seinem Tisch liegen; mal abgesehen von den regelmäßigen Aufgaben, die sowieso anfallen. Das alles dürfen jetzt erstmal die verbliebenen Kolleg*innen erledigen. Diese wiederum sind dann wieder einer höheren Belastung ausgesetzt. Arbeit bleibt liegen, Motivation sinkt, Produktivität nimmt ab, Krankheitstage steigen.
Vielleicht müssen geplante Projekte warten, vielleicht müssen einige Aufträge abgelehnt werden. Durch die Neubesetzung der Stelle entsteht außerdem viel Arbeit: Anzeigen schalten, Bewerbungen sichten, Gespräche führen – das alles nimmt viel Zeit in Anspruch.
Und dann, wenn endlich jemand gefunden wurde, sagen wir mal Lena, wird es ja nicht besser. Denn mit Moritz ist auch seine Expertise gegangen und Lena muss jetzt erst mal eingearbeitet werden. Sie muss das ganze neue System erst verinnerlichen, Abläufe erlernen, sich "einfinden". Vielleicht muss sie sich weiterbilden, Seminare besuchen oder neue Programme erlernen.
Während dieser Einarbeitungszeit leistet Lena etwa 70 % ihrer normalen Leistung. Das sind fürs Unternehmen monatlich 30 % ihres Monatsgehalts. Und das sind fürs Team 30 % ihrer Aufgaben. Die Last nimmt nicht ab. Und vielleicht kündigen auf diese Weise noch mehr Angestellte innerlich.
Fehltage und Kündigung lassen sich noch gut messen. Ein bisschen schwieriger wird es bei dem nächsten Punkt: fehlende Motivation. Und die ist tatsächlich ziemlich teuer.
Denn was ja hinzukommt, ist, dass Moritz wahrscheinlich schon eine ganze Zeit vor seiner Kündigung aufgehört hat, effizient zu arbeiten. Ihm fehlte die Bindung zum Unternehmen und darum war es ihm wahrscheinlich ziemlich egal, wenn Arbeit nur mittelmäßig erledigt wurde oder liegen blieb. Er war einfach unmotiviert.
Ob fehlende Motivation nun Auslöser oder Resultat innerer Kündigung ist, feststeht, dass man wahrscheinlich nicht 100 Prozent gibt, wenn man innerlich schon längst mit dem Job abgeschlossen hat.
Gallup hat auch hierzu ein paar interessante Daten erhoben: 2016 gaben 71 % der Menschen mit hoher Bindung an, durch das Arbeitsumfeld ihres Unternehmens zur Produktivität angeregt zu werden. Bei den Mitarbeiter*innen mit geringer Bindung sahen das nur 24 % genauso. Bei den Menschen ohne Bindung waren es nur noch 4 %. Ups.
Brockhoff und Panreck haben auch hier eine nette Rechnung aufgestellt: Nehmen wir mal an, Moritz' Kollegin Kira hat ebenfalls nur eine geringe oder gar keine Bindung an ihren Arbeitsplatz und steckt pro Tag 15 Minuten in private Angelegenheiten (in Wahrheit sind es übrigens wesentlich mehr).
Bei einem Stundensatz von 16 € sind das tägliche Kosten von 4 €. Geht ja erst mal noch. Aufs Jahr berechnet sieht das schon anders aus: 920 € sind es, die der Arbeitgeber zahlen kann. Zusätzlich geht natürlich noch die Leistung dieser 15 Minuten pro Tag verloren, wodurch weitere indirekte Kosten entstehen.
Hat ein Unternehmen 83 % gering bis gar nicht gebundene Mitarbeiter*innen, die alle am Tag 15 Minuten lang nicht arbeiten, ergeben sich in einem Unternehmen von 100 Angestellten jährliche Kosten von 76.360 €. Man hat's ja.
Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Gallup hat 2016 berechnet, dass in einem Betrieb von 500 Mitarbeiter*innen jährlich 83.000 € eingespart werden könnten, wenn man den Anteil hoch gebundener Angestellter um 5 % erhöhen und gleichzeitig den Anteil der Mitarbeiter*innen ohne emotionale Bindung um 5 % reduzieren würde.
Und jetzt stellt euch mal ein Unternehmen vor, in dem der Großteil des Teams sich emotional mit der Arbeit verbunden fühlt. Wie wäre das?
In so einem Unternehmen würde jede*r als das wahrgenommen und wertgeschätzt werden, was er oder sie ist: als Mensch. Niemand müsste mehr bei der Arbeit seine Persönlichkeit und seine Bedürfnisse verstecken. Die Menschen könnten sich so kennenlernen, wie sie wirklich sind, sich gegenseitig öffnen, Vertrauen und Verbundenheit schaffen.
In so einem Miteinander, in dem alle wissen, dass sie gesehen und gehört werden, gehen Menschen tatsächlich gerne zur Arbeit. Denn sie sind zufrieden. Und wer zufrieden ist, ist gesünder, motivierter und dadurch auch produktiver. Wenn kein innerer Widerstand mich vom Arbeiten abhält, dann kann ich kreativ und effizient sein. Und wenn ich intrinsisch motiviert bin, geile Arbeit zu leisten, dann werde ich genau das auch tun.
In unseren kostenfreien LIVE-Webinaren lernst du Methoden, wie du mehr Menschlichkeit in dein Unternehmen bringst.
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Der Plan hinter einer 40-Stunden-Woche geht nicht auf. Die Wissenschaft weiß das schon lange. Die Wirtschaft ignoriert es konsequent. Ein nicht zu Ende gedachtes Wunschkonzept steht der Realität gegenüber. Wer wird gewinnen?
Der Gedanke an acht Stunden Arbeit am Tag, fünf Tage die Woche mit nur 30 Tagen Urlaub IM GANZEN JAHR (!) hat mich schon immer fertig gemacht. Egal, wie ich es in meinem Kopf drehe und wende, acht Stunden sind einfach zu lang. Wie machen die anderen das bloß? Wie bleiben die so lange bei der Sache? Und woher nehmen die ihre Motivation?
Die Antworten auf all diese Fragen waren immer die Gleichen: "So ist halt das Leben.", "Da gewöhnt man sich schon dran." Als ich dann während meines Studentenjobs das Arbeitsverhalten meiner Kolleg*innen genauer beobachtet habe, ist mir ziemlich schnell klar geworden, wie man sich an eine 40-Stunden-Woche gewöhnt.
Gearbeitet hat da nämlich keiner. Klar, die waren acht Stunden am Tag + Pause vor Ort. Die sind um 8 Uhr morgens ins Büro gekommen und um 17 Uhr wieder gegangen. Und in der Zwischenzeit wurde da wirklich eine ganze Menge geschafft: Es wurden pro Person etwa 37 Tassen Kaffee getrunken, vegane Rezepte bei Pinterest gesucht und mithilfe von YouTube-Tutorials wichtige Skills erlernt, wie z.B. das Pfeifen mit zwei Fingern.
Wie ich mir damals habe sagen lassen, "machen das alle so." Aha. Es ist wohl common sense, dass man von den acht Stunden Arbeitszeit nicht ernsthaft acht Stunden arbeitet. Das wär‘ ja auch echt verrückt.
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Wie viel wird tatsächlich gearbeitet?
Eine Studie aus Großbritannien*(1) hat das mal genauer untersucht. Fast 2000 Angestellte wurden dazu befragt, wie sie ihre Arbeitszeit an einem normalen Arbeitstag verbringen. Die Ergebnisse sind erschreckend (oder vielleicht weniger erschreckend für alle, die sich hier wiedererkennen). Von acht Stunden wurden nur knapp drei Stunden am Tag wirklich gearbeitet. Was mit den restlichen fünf passiert ist? Die sind draufgegangen für Social Media, Plausch mit Kolleg*innen, Heißgetränke, Raucherpäuschen und Telefonate mit Familie und Freund*innen. Man kennt`s.
Über die Hälfte der Befragten gab daraufhin an, nur so den Arbeitstag überstehen zu können. Diese "kleinen" Pausen ermöglichen es ihnen, ihr Arbeitspensum am Tag zu schaffen. Wie repräsentativ diese Daten wirklich sind, bleibt an dieser Stelle offen. Aber Fakt ist – Hand aufs Herz – niemand arbeitet an einem Acht-Stunden-Tag ernsthaft acht Stunden. Ich weiß das. Du weißt das. Wir alle wissen das.
Es bringt hier rein gar nichts, mit dem Finger auf die prokrastinierende Arbeitnehmer*innenschaft zu zeigen. Die hohe Unproduktivität an langen Arbeitstagen ist nämlich oft auch Resultat einer dysfunktionalen Organisationsstruktur. Eine Studie von Asana*(2) zeigt:
Wie sich die meisten außerdem wahrscheinlich denken können oder es selbst schon erfahren haben, verschlechtert sich mit steigender Arbeitszeit auch die Gesundheit, während die Krankentage und Besuche bei Ärzt*innen in die Höhe gehen*(3). Besonders Rückenschmerzen, Müdigkeit und Erschöpfung sowie Schlafstörungen gehören zu den Symptomen*(4). Und wer permanent gestresst und überarbeitet ist, kann nicht 100 % geben.
Bereits 2007 fand Hartmut Seifert einen Zusammenhang zwischen steigender Arbeitszeit und sinkender Leistung. In einer Studie*(5) verglich er die Arbeitsproduktivität von 20 Ländern, indem er deren durchschnittliche Wochen-Arbeitszeit der jeweiligen stündlichen Produktivität gegenüberstellte. Die Tendenz ist eindeutig: Länder, in denen die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche höher ist, sind bei der Arbeit weniger produktiv. Zum Beispiel wiesen die Bulgar*innen, bei denen eine durchschnittliche Arbeitswoche 40,7 Stunden lang ist, nur etwa ein Viertel der Produktivität der Französ*innen auf, die in 36,2 Stunden fast viermal so viel leisteten.
Ist das also der Deal? Um für mehr bezahlt zu werden als ich eigentlich leiste, muss ich einfach 8 Stunden meiner Lebenszeit gegen Geld eintauschen? Das scheint mir nicht sehr sinnvoll zu sein, schließlich hab' ich keine Chance, meine Zeit jemals zurückzubekommen. Wie wärs damit: Die Arbeitszeit verkürzen.
Eine Handvoll Unternehmen macht es vor, kaum jemand macht es nach. Schade eigentlich, schließlich bringt die Verkürzung der Arbeitszeit eigentlich nur Vorteile mit sich. Denn: die 40-Stunden-Woche ist eine Illusion, eine Wunschvorstellung. Die Wissenschaft hat längst festgestellt und mehrfach bestätigt, dass kein Mensch so lange effektiv arbeiten kann. Wieso also nicht gleich ein neues Modell einführen und normalisieren?
25-Stunden-Woche in San Diego
Auf der ganzen Welt wurden hierzu bereits Experimente und Testläufe durchgeführt. Da haben wir z. B. das Unternehmen "Tower" – ein Paddelbrett-Hersteller mit weltweitem Vertrieb aus San Diego. Stephan Aarstol (CEO) hat schon vor ein paar Jahren bei gleichbleibendem Gehalt die Arbeitszeiten seiner Angestellten verkürzt. Sein ganzes Team arbeitet jetzt nur noch von 8 bis 13 Uhr. Und die Gleichung geht auf: Die Umsätze stiegen um etwa 40 %. Hö? Trotz weniger Arbeit mehr Leistung? Ja klar, schließlich hat sich an den bisherigen Leistungszielen und Deadlines nichts geändert. Stephans Leute sollen nicht fürs gleiche Geld weniger arbeiten; das wär' ja auch ziemlich dumm. Sie sollen nur dieselbe Arbeit in kürzerer Zeit schaffen. Und das funktioniert wunderbar*(6).
30-Stunden-Woche in Schweden
Auch in Schweden wurden verkürzte Arbeitszeiten längst ausprobiert und ihr positiver Effekt mehrfach bestätigt*(7). Verkürzt wurden die Arbeitszeiten hier von acht auf sechs Stunden pro Tag – auch bei gleichbleibender Entlohnung. Beteiligt an dem Experiment waren zum Beispiel das Toyota-Werk in Göteborg, das Svartedalen-Heim in Göteborg und das Sahlgrenska-Krankenhaus in Mölndal. Das Ergebnis: Überall war die Mitarbeiter*innenzufriedenheit deutlich höher, die Krankmeldungen niedriger und der Umsatz leicht bis deutlich gestiegen. Obwohl zwei Stunden weniger gearbeitet wurde, haben die Angestellten in dieser Zeit dieselbe Leistung erbracht wie an einem Acht-Stunden-Tag. By the way: Das Toyota-Werk setzt die 30-Stunden-Woche nun schon seit 2004 um.
25-Stunden-Woche in Deutschland
Zu guter Letzt: Auch in Deutschland wurde bereits mit Verkürzungen der Arbeitszeit experimentiert – wieder mit positivem Ergebnis*(7). Die IT-Agentur „Rheingans Digital Enabler“ ist seit 2017 dabei, die 25-Stunden-Woche zu optimieren. Auch hier bekommen die Mitarbeiter*innen nach wie vor das gleiche Gehalt. Das Ergebnis: Um eine 25-Stunden-Woche effektiv umzusetzen, mussten Arbeitsprozesse zunächst verbessert werden. Das heißt: keine sinnlosen Meetings, kein work-about-work, keine Prokrastination. Im Endeffekt hat den Mitarbeiter*innen und Führungskräften das Resultat so gut gefallen, dass das Experiment bis heute anhält.
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Wollen die meisten Menschen einfach lieber mehr arbeiten? Nicht wirklich. Eine Studie*(8) gibt uns einen repräsentativen Überblick zu den Wünschen der Arbeitnehmer*innenschaft in Deutschland. 8567 Proband*innen wurden gefragt, wie zufrieden sie mit ihren Arbeitszeiten sind. Die Ergebnisse sprechen für sich: Fast die Hälfte aller Befragten (=49 %) gab an, die geleistete Arbeitszeit pro Woche gern verkürzen zu wollen. Differenziert nach Teil- und Vollzeit wird dieses Ergebnis noch deutlicher: 58 % aller Vollzeitbeschäftigten wünschen sich eine kürzere Arbeitszeit. Um genau zu sein, wollen diese ihre Arbeitszeit am liebsten um ca. 9 Stunden pro Woche verkürzen.
Über die Hälfte der Menschen in Vollzeit will also gar nicht in Vollzeit arbeiten. Aha. Und die Arbeit von acht Stunden schafft man auch in sechs. Okay. Und verkürzte Arbeitszeiten bringen mehr Gewinn fürs Unternehmen und ein zufriedeneres und glücklicheres Leben für alle. So weit, so gut. Außerdem sind kürzere Arbeitszeiten ein echter Wettbewerbsvorteil im Kampf um gute Fachkräfte. Bleibt noch eine Frage offen: Wieso ist die 30-Stunden-Woche noch nicht der Standard in Deutschland?
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In einer Welt voller Extravertierter haben es Introvertierte nicht leicht. Vor allem im Beruf müssen sie sich meist verbiegen und anpassen, um mitzuhalten. Schade, denn das ist eigentlich weder fair noch notwendig.
„Wenn Du nicht weißt,
was ein Extravertierter denkt,
hast Du nicht zugehört.
Wenn Du nicht weißt,
was ein Introvertierter denkt,
hast Du nicht nachgefragt."
Jack Falt
Menschen sind verschieden. Die einen lieben Gesellschaft, die anderen Alleinsamkeit. Einige reden viel, andere hören lieber zu. Die psychischen Strukturen, denen diese Unterschiede zugrunde liegen, sind nicht nur sozial und kulturell geprägt, sondern darüber hinaus auch teilweise genetisch in uns verankert. Eines dieser Merkmale, die uns von Geburt an innewohnen, steht in der Persönlichkeitspsychologie schon seit Jahrzehnten im Fokus: Die bipolare Unterteilung Introversion/Extraversion. Bedeutet: alle Menschen sind von Natur aus entweder eher intro- oder extravertiert*(1).
Sich diese Eigenschaften nun aber schwarz/weiß vorzustellen, wäre nicht korrekt. In der Regel ist niemand zu 100 % extravertiert oder introvertiert. Diese beiden Merkmale bilden viel mehr die gegenüberliegenden Pole einer Skala, auf der es etliche Grautöne gibt. Und jeder von uns verortet sich irgendwo auf dieser Skala. Wer sich eher in Richtung introvertiert bewegt, hat trotzdem extravertierte Anteile in sich und umgekehrt.
In der Mitte zwischen Intro- und Extraversion steht die Ambiversion. Hier befinden sie alle, die beides, also Intro- und Extraversion, zu gleichen Teilen ausgebildet haben.
Extrovertierte sind wahre Meister*innen der Kommunikation. Sie sind gesprächig und haben nichts dagegen, in größeren Runden das Wort zu ergreifen und alle Augen auf sich zu ziehen. Sie reden oft lauter und schneller als ihre introvertierten Zuhörer*innen, sind außerdem spontan und scheuen sich nicht davor, einfach zu reden, ohne nachzudenken. Viele Extrovertierte sind auch sogenannte "Sprechdenker*innen", d.h. sie bevorzugen den Dialog mit anderen, um sich durch spontanes Reden über ihre eigenen Gedanken und Meinungen klar zu werden.
Introvertierte ticken da anders. Sie mögen es nicht, Gedankenimpulse einfach laut auszusprechen, ohne sich vorher die Zeit zu nehmen, zunächst selbst darüber nachzudenken. Bis sie ihre Gedanken sortiert haben, sind ihre extrovertierten Gesprächspartner*innen oft schon beim nächsten Thema. Da es Introvertierten schwer fällt, vor vielen Menschen zu reden, bevorzugen sie zudem meist Einzelgespräche oder kleinere Runden. Sie reden leiser und langsamer und ergreifen seltener das Wort*(2).
Extrovertierte kommen in der Gesellschaft anderer erst richtig in Fahrt. Aus der Interaktion mit ihrer Umwelt ziehen sie ihre Energie. Introvertierte wiederum fühlen sich durch die Interaktion mit anderen schneller entkräftet – auch wenn sie die Zeit mit ihren Mitmenschen wirklich genießen. Ihre Batterien laden sie dann aber doch lieber alleine oder mit wenigen engen Bezugspersonen in einer ruhigen Umgebung auf.
Aber nochmal: Es gibt etliche Mischformen. Das hier ist nur eine Skizze von Extremen.
Einer der zentralen Unterschiede zwischen intro- und extrovertierten Menschen liegt im Umgang mit äußeren Reizen. Extrovertierte lieben es, von vielen Reizen umgeben zu sein. Sie brauchen ein bestimmtes Maß an Stimuli, um sich wohlzufühlen und zu funktionieren. Introvertierte hingegen fühlen sich von zu vielen äußeren Reizen überwältigt. Sie haben daher ein natürliches Bedürfnis, Reizüberflutungen aus dem Weg zu gehen*(3).
Das liegt daran, dass Introvertierte bereits über ein ausreichendes Maß innerer Anregung verfügen. Ihr Gehirn produziert auch im entspannten Zustand genügend Reize, sodass sie sich weniger nach außen wenden und ihren Fokus stattdessen eher nach Innen, also in die eigene Gedanken- und Gefühlswelt richten. Zusätzliche Reize von Außen sind für Introvertierte oft zu viel. Extrovertierten hingegen mangelt es natürlicherweise an inneren Reizen. Ihre Aufmerksamkeit richtet sich daher eher nach außen – also dahin, wo die Reize zu finden sind*(4).
Forschungen haben außerdem gezeigt, dass Introvertierte in den Hirnregionen für Erinnerung, Problemlösung und Planung mehr Aktivität und eine bessere Durchblutung zeigen als extrovertierte Menschen. Diese allerdings weisen erhöhte Aktivität in bestimmten Teilen des Gehirns auf, die für sensorische Prozesse zuständig sind*(5).
Neuronale Unterschiede sorgen also dafür, dass Extrovertierte die Fähigkeit haben, schneller zu denken und zu reagieren, während der Denkprozess Introvertierter längere Wege durchläuft und mehr Informationen miteinbezieht.
Im Job sind es vor allem die extrovertierten Mitarbeiter*innen, die gerne socializen. Sie tauschen sich mit ihren Kolleg*innen über ihre Projekte und Ideen aus und arbeiten am effektivsten in Gesellschaft. Sie lieben Meetings, Brainstormings und gemeinsame Arbeitssessions, denn dies ist für sie die ideale Gelegenheit, durch impulsives Aussprechen von Gedanken zu genialen Einfällen zu kommen. Sie bevorzugen es außerdem, sich an mehreren Aufgaben und Aktivitäten zu beteiligen, ansonsten kann es nämlich schnell mal langweilig werden.
Introvertierte hingegen fokussieren sich lieber auf eine komplexe oder wenige Aufgaben gleichzeitig. Für den perfekten Arbeitsflow brauchen sie Ruhe. Lässt man ihnen diesen Raum, produzieren sie grandiose Ergebnisse. In Meetings vor mehreren Leuten zu reden, fällt ihnen oft schwer. Hier melden sie sich nicht allzu oft zu Wort, da sie mehr Zeit brauchen, um über Ideen und Einfälle nachzudenken. Sie arbeiten daher auch gerne allein und connecten sich in Pausen weniger mit anderen als Extrovertierte*(6).
Nun gibt es im Internet haufenweise Artikel und Blogeinträge à la "Wie Du als Introvertierter extrovertierter werden kannst". Was für ein Blödsinn. Ob jemand introvertiert oder extrovertiert ist, kann man sich nicht aussuchen. Extroversion ist keine Jacke, die man sich überziehen kann, nachdem man lange für sie gespart hat.
Verwundern tut es allerdings nicht, dass die Nachfrage nach solchen "Anleitungen" gar nicht so gering zu sein scheint. Schließlich leben wir in einer Welt, die von Extrovertierten dominiert wird. Seit der westlichen Industrialisierung und dem damit einhergehenden Wertewandel haben hier die Lauten das Sagen*(7). Selbstvermarktung ist das A und O. Die Menschen sollen unterhalten, faszinieren, mitreißen. Da gehen Introvertierte schnell unter. Bedächtigkeit und Zurückhaltung sind leider nicht sexy genug, sorry.
Vor allem im Job wird es den Introvertierten nicht einfach gemacht. Gesucht werden meist Fachkräfte mit extrovertierten Eigenschaften. Aufgeschlossene, kommunikative und charismatische Menschen, die es verstehen, sich zu präsentieren. Auf den Mund gefallen sollen sie nicht sein, in Meetings sollten sie regelmäßig ein paar coole Ideen droppen und für den letzten Skiurlaub des Chefs sollen sie sich auch interessieren. Einen guten Vibe sollen sie verbreiten und überzeugend müssen sie sein.
Tja, Pech für alle Introvertierten, die durch eine Sache benachteilt sind, auf die sie keinen Einfluss haben. Es ist ja nicht so, als hätten sie nichts zu bieten, ganz im Gegenteil. Während Extrovertierte erstklassig darin sind, sich zu vernetzen, schnell zu handeln und für Ideen zu begeistern, sind Introvertierte oft die besseren Zuhörer*innen und Beobachter*innen. Sie durchdenken ihre Ideen gut, können sich oft länger konzentrieren und haben einen analytischen Blick auf die Dinge.
Introvertierte Menschen haben genauso viele wertvolle Eigenschaften und Kompetenzen wie ihre extrovertierten Kolleg*innen. Leider gehen diese meist unter. Im Rampenlicht stehen immer die, die es verstehen, ihre Fähigkeiten und Leistungen zur Schau zu stellen. Da dies einfach nicht in der Natur Introvertierter liegt, haben diese hier einen klaren Nachteil.
Und als ob das nicht reichen würde, zwängen wir ihnen auch noch Strukturen auf, die es ihnen erheblich erschweren, sich bei der Arbeit wohlzufühlen. Unternehmensstrukturen und -kulturen sind meist wie für Extrovertierte geschaffen: Teamwork, Meetings, Großraumbüros, Brainstormings und Präsentationen – der absolute Horror für Introvertierte.
Der Ruf nach Diversity ist groß. In den Personalabteilungen tut sich immer mehr. Es wird einiges an Zeit und Mitteln investiert, um vielfältige Leute mit neuen Ideen und verschiedenen Fähigkeiten ins Team zu holen. Erwartet wird dann aber doch immer, dass genau die Leute, die man wegen ihrer Einzigartigkeit eingestellt hat, sich verbiegen und anpassen. Schade, denn nie war die Notwendigkeit eines divers aufgestellten Teams größer als heute.
Untersuchungen zu den Erfolgsfaktoren erfolgreicher Teams haben ergeben, dass die erfolgreichsten Unternehmen es verstanden haben, die unterschiedlichsten Leute mit den unterschiedlichsten Stärken, Kompetenzen und Verhaltensweisen einzustellen*(6). Ein rein extrovertiertes Team macht bestimmt Spaß. Für langfristigen Erfolg sind introvertierte Skills aber dringend notwendig.
Führungskräfte dürfen den Blick für die Persönlichkeitsmerkmale und Bedürfnisse ihrer Angestellten schärfen und dafür sorgen, dass ihre introvertierten Mitarbeiter*innen nicht untergehen, sondern sich im Unternehmen entfalten können. Und wenn sie dafür andere Umstände brauchen als der Rest des Teams, ist das doch eigentlich auch okay, oder?
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*(1) vgl. Jung, Carl Gustav (2019): Typologie. Ostfildern: Patmos Verlag.
*(2) vgl. Hertlein, Margit (2019): Ach, was Sie nicht sagen. In: CNE Pflegemanagement 2019; 04: 12–13.
*(3) vgl. Freund, Dirk (2013): Wertschöpfende und innovationsorientierte Unternehmensführung. Berlin Heidelberg: Springer.
*(4) vgl. Roemer, Cordula (2021): Abenteuerlustig & Hochsensibel. Wie Sie als extravertierterHochsensibler gut leben können. Wiesbaden: Springer.
*(5) vgl. University of lowa (1999): Brain Activity Differs In Introverts And Extroverts, UI Study Shows.
*(6) vgl. Wagner, Hartmut: Was macht Teamarbeit erfolgreich? Das Team Management System (TMS) von Charles Margerison und Dick McCann.
*(7) vgl. Cain, Susan (2013): Still. Die Kraft der Introvertierten. München: Goldmann Verlag.
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Vier verschiedene Generationen mischen zurzeit den Arbeitsmarkt auf. Die Einstellung zur Arbeit verändert sich, Führung sollte das auch.
Die Weltanschauungen und Lebensentwürfe verschiedener Generationen unterscheiden sich – das dürfte uns allen im Alltag bereits aufgefallen sein. Die „Jungen“ verstehen die „Alten“ nicht, die „Alten“ verstehen die „Jungen“ nicht.
Woher kommt das?
Das ist recht simpel. Verschiedene Generationen haben verschiedene Werte und Überzeugungen, weil sie in unterschiedlichen Zeiten aufgewachsen sind und dementsprechend anders sozialisiert wurden. Genauer: Wir Menschen entwickeln einen Großteil unserer Verhaltensweisen und Denkmuster in unserer Jugend. Und zwar dann, wenn wir bewusst anfangen, uns mit unserer Umwelt und ihren sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen. Die Lebenskonzepte und Wertvorstellungen, die wir in dieser prägenden Zeit entwickeln, formen den Rahmen für unser gesamtes Leben. Sie sind die Grundlage unseres Handelns.
Es ist sicher keine Überraschung, dass sich diese einflussreiche Zeit und die in ihr vorherrschenden gesellschaftlichen Bedingungen von Generation zu Generation unterscheiden. Die ganze Welt ist ständig im Wandel und somit verändern und entwickeln sich auch priorisierte Werte, Lebensstile & Biographien. Das ist der Grund dafür, dass unsere Vorstellungen vom Leben oft weit auseinandergehen *(1). Besonders deutlich wird dies in der Arbeitswelt. Hier treffen seit Einzug der jüngeren Generationen ganz neue Arbeitskonzepte und Forderungen auf die etablierte Arbeitsweise ihrer Vorgänger.
Aber eins nach dem anderen. Sehen wir uns zunächst einmal an, welche Generationen wir derzeit auf dem Arbeitsmarkt haben *(1):
Babyboomer: etwa 1950 bis 1965
Generation X: etwa 1966 bis 1980
Generation Y: etwa 1981 bis 1995
Generation Z: ab 1996
Die Babyboomer sind die alten Hasen auf dem Arbeitsmarkt. Als Angehörige der geburtenstärksten Jahrgänge sind sie es gewohnt, eine hohe Anzahl an Wegbegleiter*innen um sich zu haben. Oft sind sie mit mehreren Geschwistern aufgewachsen und haben bereits in der Familie die Erfahrung gemacht, nicht der Familienmittelpunkt, sondern viel mehr ein Glied in der Kette zu sein. Sie haben daher schon früh einen Sinn für Gemeinschaft entwickelt und gelernt, sich in die Gesellschaft einzugliedern. In der Regel haben die Boomer außerdem eine vergleichsweise autoritäre Erziehung erlebt und daher schon im Kindesalter begonnen, sich an familiäre und gesellschaftliche Konventionen anzupassen.
Diese Anpassungsfähigkeit haben viele von ihnen in die Arbeitswelt übertragen. Sie haben kein Problem damit, das zu tun, was von ihnen erwartet wird und sich pflichtbewusst in die bestehende Ordnung zu integrieren. Hinzu kommt, dass die Babyboomer es auf dem Arbeitsmarkt besonders schwer hatten. Durch die große Menge an Konkurrent*innen mussten sie sich im Job schon früh durchsetzen und hierfür nicht selten an ihre Grenzen gehen *(1).
Dieser Umstand, gepaart mit der hohen Bereitschaft, sich an den Erwartungen ihrer Mitmenschen zu orientieren, führt dazu, dass viele Babyboomer dazu neigen, eine Bilderbuchkarriere hinzulegen und durch hohe Anstrengung beruflich aufzusteigen. Sie sind in der Regel intrinsisch motiviert, qualitativ hochwertige Arbeit zu leisten *(2). Und diese hohe Leistungsbereitschaft zahlt sich aus: Heute geben die Boomer den Ton an. Der Großteil der Führungspositionen in Deutschland wird nämlich von ihnen besetzt.
Angehörige der Generation X sind in einer Welt aufgewachsen, in der sich der Fokus langsam verschoben hat: Weg von der Gemeinschaft, hin zum Individuum. Von ihren Eltern wurden sie meist zu eigenständigen Pragmat*innen erzogen und somit hat vor allem Selbstbestimmung bei ihnen einen hohen Stellenwert. Der Zeitgeist, den die Gen X kennengelernt hat, war außerdem geprägt durch wachsenden Wohlstand. Finanzielle Absicherung wird daher oft als Mittel verstanden, um selbstbestimmt leben zu können. Aus diesem Grund haben die X-Jahrgänge nicht selten einen stark materialistischen Fokus.
So kommt es, dass Zugehörige der Gen X dazu neigen, ihrer Karriere und ihrem beruflichen Erfolg eine sehr hohe Bedeutung beizumessen, denn nur so können sie ihren Wohlstand finanzieren. Ihr wohl verdientes Geld ermöglicht ihnen den Luxus, sich auf ihre persönlichen Bedürfnisse und Wünsche konzentrieren zu können *(1). Autonomie und Individualismus werden von dieser Generation lieber ins Private verlagert. Ihr Job wird häufig als Mittel zum Zweck angesehen, ihre Freizeit nach ihren Vorstellungen gestalten zu können.
Für viele Angehörige der Gen X ist das Endresultat daher oft wesentlich wichtiger als der Prozess. Um an ihr Ziel zu kommen, tun sie was nötig ist. Im Job tun sie, was der Job verlangt. Am Ende werden sie dafür belohnt *(2).
Generation Y, Generation Why, Millennials, Generation@ – Diese Generation hat viele Namen und viele Gesichter. Was die Millennials wohl am meisten geprägt hat, war die Etablierung des Internets und die damit einhergehende wachsende Optionenvielfalt. Die Erziehung der Gen Y war typischerweise selbstbestärkend und ressourcenorientiert. Durch diese Umstände hat sie einen starken Drang nach individueller Selbstverwirklichung entwickelt. Sie sieht meist wenig Sinn darin, sich in eine bestehende Ordnung einzugliedern oder etwas zu tun „weil man das eben so macht“. Sie hinterfragt Traditionen und vor allem berufliche Konventionen und Vorstellungen *(1).
Durch das Wissen um die vielen verschiedenen Möglichkeiten gelten sie außerdem als recht sprunghaft und anspruchsvoll. Die Angst, etwas zu verpassen, sitzt vor allem den späteren Jahrgängen dieser Generation ständig im Nacken. Sie wollen sich nicht mehr für die Arbeit aufopfern, ganz im Gegenteil: Die Arbeit soll ihnen Freude bereiten, einen Sinn ergeben und auf ihre privaten Ziele einzahlen. Dient ein Job nicht ihrer Selbstverwirklichung, suchen sie schnell das Weite. Tut er es doch, stecken sie ihre ganze Kraft hinein *(2).
Angehörige der Generation Y streben häufig keine traditionellen Karrierepfade an, weil diese nicht zu ihrer Auffassung eines individuellen, selbstbestimmten Lebens passen. Da der Job ihrer persönlichen Selbstverwirklichung dient und ein Teil von ihnen ist, der gesehen werden soll, tendieren die Y's dazu, Berufs- und Privatleben stark zu vermischen. Laut der Deutschen Gesellschaft für Personalführung passt das Konzept einer „Work-Life-Blend“ wesentlich besser zu ihnen als die „Work-Life-Balance“, die ihre Vorgängergeneration anstrebt *(3). Daher lassen sie sich im Job auf keine Kompromisse ein.
Diese unscharfen Grenzen zwischen Job und Privatleben wirken auf die Generation Z – die Jüngsten auf dem Arbeitsmarkt – eher abschreckend. Ähnlich wie die Generation X sehen sie ihr Entfaltungspotenzial eher im Privatleben, allerdings liegt der Unterschied darin, dass die Z‘s ihre Freizeit tendenziell höher gewichten als den Job. Sie fordern daher eine strikte Trennung zwischen Beruf und Freizeit sowie klare Strukturen. Sie wollen und werden keine Arbeit mit nach Hause nehmen; ihre Freizeit ist ihnen heilig *(2).
Angehörige der Gen Z haben dennoch einen hohen Drang nach Selbstverwirklichung – vielleicht sogar mehr als all ihre Vorgängergenerationen. Ihre Erziehung fand und findet mehr als jemals zuvor auf Augenhöhe statt. Ihre Eltern sind oft ihre eigenen persönlichen Berater*innen und unterstützen die Z‘s dabei, ihren eigenen Weg zu gehen. Obwohl der Job dabei eine untergeordnete Rolle spielt, hat seine Qualität einen hohen Stellenwert. Bei allem was in der Welt passiert, sehnen die Jüngsten auf dem Arbeitsmarkt sich nämlich nach finanzieller Sicherheit *(1).
Wichtig dabei ist, dass die Arbeit sie erfüllt und Spaß macht. Die Gen Z will ihre persönlichen Bedürfnisse nicht im Job unterordnen und sich noch weniger von Führungskräften herumschubsen lassen. Sie fordern im Beruf denselben Rahmen, in dem sie aufgewachsen sind: ein Miteinander auf Augenhöhe, Selbstverantwortung und Flexibilität *(2).
2021 sah die Verteilung der vier Generationen auf den Arbeitsmarkt wie folgt aus:
Etwa 23,5 % der Erwerbstätigen setzen sich aus den Babyboomer-Generation zusammen. In rund 10 Jahren wird diese dann größtenteils vom Arbeitsmarkt verschwunden sein. Mit ca. 36 % ist die Generation X momentan noch zahlenmäßig überlegen. In ungefähr einem Jahrzehnt werden die ersten dieser Generation anfangen, ihre wohl verdiente Rente zu genießen.
Die Generation Y ist ihrer Vorgängergeneration dicht auf den Fersen. Etwa 31 % aller Arbeitsplätze werden aktuell von den Millennials abgedeckt, Tendenz steigend. Den kleinsten Anteil bildet die Generation Z – kein Wunder, die meisten von ihnen befinden sich schließlich noch in der Schule oder Ausbildung. Etwa 9,5 % von ihnen sind bereits im Job aktiv und breiten sich nun nach und nach auf dem Arbeitsmarkt aus.*(4).
Verändern sich die Werte der Arbeitnehmer*innen, muss auch Führung sich verändern. Es ist heute wichtiger als jemals zuvor, sich auf die Bedürfnisse der neuen Generationen einzustellen. Wieso? Ganz einfach: Der Fachkräftemangel wird in Zukunft ein Problem sein. Wo Unternehmen heute schon Schwierigkeiten haben, die richtigen Mitarbeiter*innen zu finden, wird es zukünftig noch viel problematischer sein, gute Leute für’s Team zu gewinnen.
Verantwortlich hierfür ist der demografische Wandel. Dass die Bevölkerung altert und schrumpft, ist heute kein Geheimnis mehr. Was diese Umstrukturierung des Altersaufbaus für den deutschen Arbeitsmarkt bedeutet, kann für die Zukunft ziemlich genau prognostiziert werden:
Das Statistische Bundesamt hat berechnet, dass sich die Bevölkerung im Erwerbsalter bis 2050 um 22 % – 29 % verringern wird. Bereits in 10 Jahren wird dieser Umstand auf dem Arbeitsmarkt deutlich spürbar sein *(5). Aber auch heute sind schon über 40 % der Berufsgattungen mit Fachkräfteengpässen konfrontiert und über die Hälfte der Unternehmen sehen den Fachkräftemangel aktuell als Risiko *(6).
Haben die geburtenstärkeren Jahrgänge den Arbeitsmarkt dann erst einmal verlassen, wird der Wettbewerb um gute Fachkräfte sich zuspitzen. Besonders die Vertreter*innen jüngerer Generationen werden daher zukünftig die Wahl zwischen mehreren Arbeitgeber*innen haben. Um sich als Führungskraft also geeignete Fachkräfte zu sichern, wird es zunehmend relevant, sich auf die Bedürfnisse der Gen Y & Z einzustellen.
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*(1) vgl. Schlotter, Lorenz/Hubert, Philipp (2020): Generation Z – Personalmanagement und Führung. 21 Tools für Entscheider. Wiesbaden: Springer.
*(2) vgl. Klein, Claudia (2020): Jede Generation hat eigene Werte. In: physiopraxis. 18 (01). Stuttgard – New York: Georg Thieme Verlag.
*(3) vgl. Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. (2011): Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Generation Y finden, fördern und binden. Düsseldorf. 22.3.21
*(4) vgl. Statistisches Bundesamt (2019): Erwerbsbeteiligung. Erwerbstätige und Erwerbstätigenquote nach Geschlecht und Alter 2009 und 2019. Ergebnis des Mikrozensus. 22.3.21
*(5) vgl. Statistisches Bundesamt (2006): Bevölkerung Deutschlands bis 2050. 11. Koordinierte Bevölkerungsberechnung. Wiesbaden. 22.3.21
*(6) vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2020): Fachkräfte für Deutschland. 22.3.21
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Diese Headline habe ich vor einigen Wochen in einem Beitrag von Roman Gaida gelesen.
Das fand ich spannend und hab ihn in meinen Podcast eingeladen.
Roman ist Dep. Head of Division EMEA (140+ Mitarbeiter in 13 Länder) bei Mitsubishi Electric Europe BV und Vater von Zwillingen.
Dabei war das überhaupt nicht geplant.
Bei dem mittelmäßigen Realschüler ging es erst nach der Lehre, fast zehn Jahren Schichtarbeit und einer Qualifikation zum Maschinenbautechniker, auf einmal Schlag auf Schlag:
Arbeitgeber Wieland Group ermöglichte ein Studium an der Dualen Hochschule Heidenheim.
Danach folgte die Station beim Technologiekonzern Oerlikon bis er 2017 zu Mitsubishi Electric wechselte.
Nebenher hat Roman in diese Zeit seinen MBA (Note 1,3 mit Auszeichnung) in St.Gallen und an der RWTH Aachen University gemacht.
MBA, Umzug von Ulm nach Düsseldorf, neuer Job… was fehlt da noch? Genau, Nachwuchs!
Und bei Roman und Laura I. Gaida haben sich gleich Zwillinge angekündigt.
Wie hat er diese Zeit gemeistert und wie bekommt er alle Bereiche unter einen Hut?
Darüber reden wir Folge 42 des Familienmensch Podcast (Hörzeit 30 Min. - Link im Kommentar).
Jetzt anhören!
#familie#familienmensch#worklifebalance
Die Dynamik der heutigen Zeit impliziert ständige Veränderungen und Herausforderungen für die Arbeitswelt. Um sich diesen souverän zu stellen, braucht es flexible und anpassungs-fähige Arbeitsstrukturen. André Häusling über agiles Arbeiten bei HR Pioneers.
Für ein erfolgreiches Unternehmen ist es wichtig, schnell auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren und sich neuen Situationen anpassen zu können. Nicht nur akute Krisen, sondern auch neue Technologien und veränderte Wettbewerbssituationen verlangen Unternehmen ein gewissen Maß an Flexibilität ab. Ist die Struktur Deines Unternehmens eher unflexibel? Dann kann das Modell des agilen Arbeitens für Dich sinnvoll sein.
André Häusling, Gründer und Geschäftsführer von HR Pioneers, will zusammen mit seinem Team durch agile Arbeitsmodelle die Zusammenarbeit in Unternehmen revolutionieren, um Menschen eine sinnstiftende Tätigkeit und Unternehmen eine leistungsfähige Organisation zu ermöglichen. Im Fokus steht dabei vor allem eines: Der Mensch. Wie André und seinem Team das gelingt und wieso wir auch in der Politik ein agiles System, geprägt von Kommunikation und Reflexion benötigen, erfährst Du in diesem Artikel.
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02:17 Arne: André, stelle Dich bitte vor und erzähle uns, was Du machst und wer Du bist.
André: […] Ich bin 43 Jahre alt und habe in meinem Soziologie-Studium die Leidenschaft für das Thema Personal- und Organisationsentwicklung entdeckt. Ich bin sehr fasziniert davon, wie Menschen zusammenleben und zusammenarbeiten, um gemeinsam etwas zu produzieren. Nach dem Studium habe ich in der Beratung gearbeitet, war im Personalbereich tätig und habe 2010 meine eigene Beratung HR Pioneers gegründet. Seitdem folge ich dieser Leidenschaft als Unternehmer und verändere die Zusammenarbeit in Organisationen […].
03:44 Arne: Was macht HR Pioneers genau? Wo sitzt Ihr, wie viele Leute seid Ihr und was ist das Produktangebot in Richtung Markt?
André: […] Unser Firmensitz ist in Köln und wir sind 30 Teammitglieder. Wir beschäftigen uns mit drei Themenschwerpunkten. Ein Thema sind agile Transformationen: Die Kunden kommen zu uns, wenn sie in einem Marktumfeld sind, das dynamisch und komplex ist und eine andere Form von Zusammenarbeit benötigt, um nicht zu langsam zu sein. Unsere Kunden sind große Konzerne wie eine Otto Group, eine Deutsche Bahn, Bosch, andere große Player, aber auch viele kleine mittelständische Unternehmen, die wir in Teilen radikal anders in der Zusammenarbeit entwickelt und begleitet haben.
06:14 Arne: Wie ist Deine Organisation aufgestellt?
André: […] Nach unserem Verständnis ist die Organisation von außen nach innen zu denken, sodass wir vom Markt und vom Kunden kommend unsere eigene Organisation entwickeln. Unsere Kunden haben irgendwo einen Engpass, eine Herausforderung, wofür sie eine Lösung suchen, und wir sind so organisiert, dass wir das bestmöglich bedienen zu können.
Aus unserer Sicht haben unsere Kunden momentan 3 Kernfragen, wenn sie auf uns zukommen. Darum haben wir uns auch in drei Bereiche strukturiert. Zum einen wollen die Kunden in irgendeiner Form Qualifizierung, d.h. sie wollen etwas lernen. Dafür haben wir eine Academy Crew, die ihnen dabei hilft, zu lernen. Zum anderen wollen Kunden oft in der Umsetzung von etwas begleitet werden. Das erledigt unsere Consulting Crew. Und zuletzt haben wir noch ein Eventteam. Das sind die Leute im Team, die sich damit beschäftigen, wenn Kunden fragen: "Wie machen es eigentlich die anderen?" - die also voneinander und miteinander lernen wollen.
Das ist unser Organisationsschnitt und dann haben wir zusätzlich noch zwei andere Layer in unserer Organisationsstruktur. Jeder ist nämlich noch Mitglied in einem crossfunktionalen Team, wo wir gerade neue Sachen entwickeln. Und dann haben wir noch sogenannte emotionale Austauschgruppen, in denen die Menschen zusammenfinden und sich darüber austauschen, wie es ihnen gerade geht. Dafür haben wir 3-4 Menschen im Team, die sich um unsere emotionale Stabilität kümmern.
Führung haben wir auch sehr dezentral organisiert. Wir haben eine sehr verteilte Führungslogik mit einer hohen Transparenz, was unternehmerische Kennzahlen angeht. Das ist der aktuelle Stand, aber wir entwickeln das die ganze Zeit weiter [...].
12:11 Arne: Was verstehst Du unter Agilität und wozu ist das wichtig?
André: […] Agilität ist ein Buzzword geworden. Ich bin 2005 das erste Mal damit in Berührung gekommen. Agilität ist die Fähigkeit einer Organisation, sich rasend schnell an veränderte Rahmenbedingungen in turbulenten, komplexen, unsicheren Zeiten und Umfeldern anpassen zu können.
Jetzt in der Coronakrise hat das einen großen Stellenwert. Der Treiber hierfür kann eine Krise wie Corona sein, es können aber auch veränderte Wettbewerbssituationen sein, neue Technologien und veränderte Kundenbedürfnisse. Es erfordert aus der Umwelt heraus einen gewissen Anpassungsbedarf.
Diese Agilität kann aber auch von innen heraus angetrieben sein, wenn Menschen anders geführt werden und anders zusammenarbeiten möchten, weil die interne Komplexität so groß ist, dass die heutige Zusammenarbeit nicht mehr funktioniert. Häufig fehlen Denk- und Handlungsalternativen. Deswegen ist Agilität ein großer Nutzen, insbesondere in der jetzigen Zeit […]!
24:17 Arne: Es gibt zwei grundsätzliche Arten der Motivation: "Von weg" oder "hin zu". Allen großartigen Organisationen dieser Welt ist es gelungen, eine "Hin zu"-Motivation zu entfalten. Die meisten Menschen folgen aber der Motivationsstrategie "Von weg". Ich glaube, dass die aktuelle Situation hinreichend lang ist, sodass sich gesellschaftlich signifikant etwas verändern wird. Ich kann mir sogar vorstellen, dass das Thema agiles Arbeiten zukünftig in der Politik nachgefragt wird. Wie blickst Du darauf?
André: […] Ich würde mir das wünschen. Allerdings habe ich Zweifel. Wir hatten schon Anfragen aus der Politik und haben uns mit dem Schulsystem beschäftigt, aber es ist sehr schwer, das Bildungssystem zu reformieren. Der Politik kann es einen großen Nutzen liefern und dort sehe ich Chancen. Was gerade fehlt, wäre die Entwicklung eines Zukunftsbildes. Was ist derzeit unser "hin zu"? Unsere Politik versagt gerade jämmerlich dabei, diesen Rahmen zu schaffen!
Wie möchten wir in so einer komplexen Welt zukünftig zusammenleben? Wir benötigen eine Kollaboration im Zusammenleben der Gesellschaft, um Zukunftsprobleme zu meistern. Dafür braucht es einen Transformationsprozess. Wir brauchen Kommunikation, Partizipation und Reflexionsphasen, um herauszufinden, was funktioniert und was nicht funktioniert. Wir träumen davon, dass wir nicht nur die Zusammenarbeit revolutionieren, sondern mit der Art und Weise, wie wir Organisationen entwickeln, einen Beitrag dazu leisten, das Zusammenleben zu revolutionieren […].
30:33 Arne: Das ist auch der Gedanke, den ich mit Mindset Movers verfolge: Menschen dabei zu unterstützen, das zu tun, was sie wirklich erfüllt. Wir haben in unserer Politik leider keinen Wettbewerb um Ideen und Visionen, sondern es ist ein Wettbewerb von Schuldzuweisungen. Dieser konstruktive nach vorne gerichtete Blick fehlt. Wie hast Du das in Deinem Unternehmen gemacht und was können wir davon lernen?
André: […] Ich habe nie richtig über meine Vision von HR Pioneers geredet. Irgendwann habe ich das "hin zu" formuliert: Ich träume davon, die Zusammenarbeit zu revolutionieren, sodass Menschen sinnstiftend und glücklich täglich das tun können, was sie möchten, um damit eine leistungsfähige Organisation zu erschaffen und einen Beitrag zu einer großartigen Gesellschaft zu liefern.
Als ich das vorgestellt habe, waren die Mitarbeiter überrascht, aber sie waren alle motiviert, um mitzumachen. Im nächsten Schritt haben wir einen partizipativen Prozess angefangen, der bis heute andauert. Wir entwickeln unsere Visionen kontinuierlich weiter. Häufig ist nicht das Ergebnis das Entscheidende, sondern der Prozess und der Dialog. Diese Dialogplattform brauchen wir meiner Ansicht nach auch in der Gesellschaft […].
35:43 Arne: Wer nimmt an dieser Dialogplattform in Deinem Unternehmen teil? Macht Ihr das in regelmäßigen Abständen?
André: […] Jeder einzelne Mitarbeiter nimmt daran teil. Einmal im Quartal ziehen wir uns drei Tage unter der Woche zurück. Das zeigt, dass der Dialog einen sehr hohen Wert für uns hat. Der Business Value dieser drei Tage war bisher immer sensationell! Wir nehmen uns Zeit für Reflexion, um daran zu arbeiten, zu diskutieren und zu streiten. Dadurch lernen wir uns auch besser kennen […].
36:38 Arne: Welche Strukturen und Modelle sind aus diesem Prozess in den letzten Jahren entstanden? Kannst Du Beispiele nennen?
André: […] Wir haben einen Visionssatz, eine ausführliche Visionsbeschreibung und eine strategische Ebene für die nächsten drei bis fünf Jahre. Wir haben die Vision nicht nur für außen, sondern auch für innen entwickelt, beispielsweise Werte und einen Kulturkompass, an dem wir uns orientieren. Für unsere Werte haben wir ein eigenes Kartenset entwickelt, die Pioneer Cards. Es besteht aus verschiedenen Karten mit insgesamt 32 Werten und 32 Prinzipien. Wir haben diese Karten auf den Tisch gelegt und jeden Mitarbeiter gebeten, die Karten zu wählen, die für ihn oder sie Relevanz haben. Daraus sind sechs Werte entstanden, die wir in unserer Zusammenarbeit und unserem Zusammenleben operationalisiert haben.
Einer dieser Werte ist Sinnstiftung. Uns verbindet etwas Übergeordnetes und wir möchten einen Beitrag zu etwas Größerem leisten. Weitere Werte sind Leidenschaft, Pioniergeist, Integrität, Bodenständigkeit und Kollaboration. Für den Kollaborationsaspekt haben wir den Kulturkompass entwickelt. Wir haben die Werte operationalisiert.
Wenn wir Mitarbeiter einstellen, bekommen sie im Bewerbungsgespräch die Pioneer Cards vorgelegt, um ihre Werte herauszufinden. Wir legen nicht alle 32 Werte hin, sondern zehn bis fünfzehn. Es geht nicht darum, dass die Werte gleich sind, sondern wir fragen: Was ist Dir wichtig? Was verstehst Du darunter? Es entsteht ein Dialog über das Mindset der Menschen. Im Onboarding erhält jeder Mitarbeiter nach ein, drei und fünf Monaten ein Feedback zu diesen sechs Werten. Wir haben unsere Unternehmenswerte operationalisiert und eingebunden, sodass sie wirklich gelebt werden.
Einmal im Monat betrachten wir unseren Kulturkompass. Jeder Mitarbeiter nimmt sich vor, an einem selbst ausgewählten Wert zu arbeiten. Im nächsten Monat teilen wir uns gegenseitig mit, was wir über den Wert gelernt und wie wir uns weiterentwickelt haben. So haben wir einen kontinuierlichen Prozess, durch den wir unsere Zusammenarbeit reflektieren […].
44:23: Arne: Wenn wir die aktuelle Situation in der Coronakrise betrachten: Wie wünschst Du Dir die Rolle von Agilität in der Zukunft, wenn es um Entscheidungsfindung oder um politische Prozesse geht?
André: […] Wir müssen lernen, zu lernen. Wir brauchen mehr Experimente! In der jetzigen Situation können wir nicht mehr planen und analysieren. Wir müssen lernen, mit der Ungewissheit umzugehen. Die Welt ist nicht kontrollierbar und planbar. Wir müssen herausfinden: Was funktioniert und was funktioniert nicht in dieser Situation? Dafür brauchen wir Reflexionszeiten. Wir machen im gesellschaftlichen Kontext derzeit viele Experimente mit schnellen Entscheidungen, aber die Reflexionszeiten fehlen. Meine Angst ist, dass die Freiheitseinschränkungen nicht mehr vollständig abgeschafft werden. Die Bürger müssen mitentscheiden und partizipieren […].
57:58 Arne: Ich möchte mich herzlich bedanken für das Interview mit Dir und die Einblicke!
Wenn Dir der Blogeintrag gefallen hat und Du mehr über Andrés Story wissen willst, hör doch auch mal in die Podcastfolge rein.
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